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Der Färberstreik 1913 bei Schetty, Clavel & Lindenmeyer und Färberei Schusterinsel


Die Färber gehörten wie die Seidenbandarbeiterinnen und -arbeiter zu den am schlechtesten organisierten und bezahlten Berufen. Sie arbeiteten unter miserablen Bedingungen, den Giftdämpfen, dem Geruch, der Hitze und dem Schmutz der Farbproduktion für die Bandindustrie ausgesetzt. Die Streikbewegung umfasste grenzübergreifend die drei Betriebe Schetty Söhne A.G. in Basel und Friedlingen (D, heute Ortsteil von Weil am Rhein), A. Clavel und F. Lindenmeyer A.G. in Basel sowie die Färberei & Appretur Schusterinsel in Friedlingen. Alle waren im wasserreichen Gebiet Wiesemündung/Rhein/Riehenteich angesiedelt. Der Streikbeschluss wurde auf einer sehr gut besuchten, vom schweizerischen und deutschen Textilarbeiterverband einberufenen Arbeiterversammlung am 20. Mai gefasst. Der Grund: Die Färber hatten eine Woche zuvor einen Tarifvertrag und den Neun-Stundentag gefordert und die Arbeitgeber darauf nicht einmal geantwortet, trotz nochmaliger Aufforderung.

Die Arbeiter solidarisierten sich überdies mit den bereits seit Wochen streikenden Seidenfärbern in Krefeld und warfen den Basler Firmenbesitzern vor, deren Arbeitskampf zu hintertreiben, indem sie Arbeit für Krefeld übernommen hätten. Noch am gleichen Tag schaltete sich das staatliche Einigungsamt ein. Die Arbeitgeber erschienen zwar, lehnten aber kategorisch alle Verhandlungen ab, vor allem akzeptierten sie keine solchen mit Vertretern des Textilarbeiterverbandes. Sie würden sich vorbehalten, mit den Arbeitern selbst und einzeln zu verhandeln unter der Bedingung, dass die Arbeit am Montag, 26. Mai, wieder aufgenommen werde. Sonst drohe Entlassung. Bandfabrikanten und Handelskammer unterstützten diese Haltung vorbehaltlos.

Laut den Berichten des Polizeiinspektorats [18] bemühte sich die Polizei strikt um Äquidistanz zu den Konfliktparteien. So lehnte sie ein von den Firmenchefs gefordertes Vorgehen gegen die Streikposten an den Fabrikeingängen ab, war aber bereit, Streikbrecher an den Arbeitsplatz zu begleiten. Bei 1200 Streikenden handelte es sich um 50 bis 60 Arbeitswillige. Als der Polizeiinspektor am Nachmittag des ersten Streiktags Delegationen beider Seiten einlud, um über die Rolle der Polizei zu informieren, verweigerten sich die Färbereibesitzer. Den grössten Einsatz leistete die Polizei am 13. Juni, als «sich in den Langen Erlen hinter den Pfeilern der Eisenbahnbrücke, an der Wiesenbrücke, in der Hochbergerstrasse und an den Wiesendämmen eine Menge von 5–600 Mann und überdies zahllose Kinder und Frauen angesammelt hatten. Sofort wurde von allen Polizeiposten die gerade disponible Mannschaft herangezogen, auf welche Weise dann bis 6 ¼ Uhr abends 54 Mann vor der Färberei Schetty verwendbar wurden. Mittlerweile war aber auch die Volksmenge auf viel tausend Köpfe herangewachsen und Herr Oberlieutenant Binder sah sich ausser Stande, die Arbeitswilligen gegen diese brodelnde, johlende, pfeifende, drohende Menge zu geleiten.»

Polizeiinspektor Müller bot Pferde auf, und sechs berittene Polizisten machten für die Streikbrecher und deren Begleitschutz den Weg nach Hause frei. Dabei sei der Polizeikordon, der sie nach hinten abschirmte, aus der zehn- bis zwölftausendköpfigen Menge mit Steinen beworfen worden. Es sei nur noch mit blanken Säbeln Ruhe zu schaffen gewesen. Drei Demonstranten seien dabei unbedeutend verletzt worden. Daraufhin liess die Basler Regierung zwei Kompanien des Füsilierbataillons 97 auf Pikett stellen. Die Streikenden sahen sich bestätigt. «Die schweizerische Armee, angeblich zum Schutz des Vaterlandes gegen den äussern Feind aufgestellt und unterhalten, wurde wiederum in der Dienst von Klassenkämpfen gestellt, sie hilft den Starken die Schwachen zu unterdrücken», hiess es in einem Flugblatt, in der Arbeiterbund [19] und Sozialdemokratische Partei zu einer öffentlichen Volksversammlung einluden.

Die Regierung rechtfertigte sich vor dem Grossen Rat mit ihrer Pflicht, unter allen Umständen für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung zu sorgen, und lieferte einen minutiösen Bericht über den Streikablauf und die polizeilichen Massnahmen. [20] In der Ratsdiskussion fielen Voten von einiger historischer Weitsicht. So meinte der sozialdemokratische Nationalrat und Vorwärts-Redaktor Johannes Frei, «das soziale Empfinden sei heutzutage noch rückständiger als man annehme. Sonst hätte man es nicht erleben müssen, dass grosse Industrien sich weigern, Tarifverträge abzuschliessen. Die Färbereibesitzer wollen ihren Arbeitern nur auf dem Gnadenwege Verbesserungen zukommen lassen, aber keine Rechte zugestehen. Und doch bilden diese Arbeiterorganisationen die einzige Garantie für erträgliche Verhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitern.»

Katholikenvertreter Ernst Feigenwinter, Anwalt und Volksblatt-Redaktor, übte – damals noch – Kritik am arroganten «Herr-im-Hause-Standpunkt» der Färbereibesitzer. Verhandlungsunwille und die Ablehnung des Koalitionsrechts seien veraltet, umso mehr, als auch in diesen Fabriken das frühere persönliche Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern geschwunden sei und das internationale Kapital in ihnen kommandiere. Das Ende des Streiks war für die Textilfärber nach den Worten des katholischen Basler Volksblattes «demütigend und erniedrigend». [21] Jeder, der sich zurückmeldete, habe im Portierhaus sein Entlassungsschreiben und seine Invalidenkarte vorgefunden. «Im Laufe des Tages hatte er sich dann auf dem Bureau vorzustellen, wo ihm eröffnet wurde, ob er das Arbeitsverhältnis wieder neu beginnen könne oder ob er entlassen sei.» Diejenigen, die wieder eingestellt wurden, verloren aufgrund des gestrichenen Dienstalters ihren Ferienanspruch. Höhere Löhne wurden nur diffus «nach Leistung» versprochen.

Der Färberstreik von 1913 fand seine Fortsetzung in der Nachkriegskrise von 1919. Damals, Ende Juli, traten die Färber der Firma Clavel & Lindenmeyer erneut in Streik und gerieten in den dramatischsten Arbeiterkampf der Basler Geschichte. Ein Generalstreik mit vier toten Demonstranten gehörte zu seinen Resultaten. Die Färbereibesitzer hatten offenbar auch durch den Krieg nichts gelernt. [22]

Basel vor dem Ersten Weltkrieg – das war eine Stadt in Bewegung, Fabrikstadt, Bankenplatz und Verkehrsdrehscheibe auf Schiene und Strom. Da war viel Fortschritt und Wachstum, auch eine liberale Öffnung im politischen und sozialpolitischen Raum. Anderseits herrschte im privatwirtschaftlichen Bereich eine ausgesprochen unsensible, verantwortungs- und verständnislose Mentalität gegenüber der sich zunehmend artikulierenden Arbeiterklasse. Deren Mehrheit, dazu gehörten Heimarbeiterinnen und Fabrikarbeiterinnen, ungelernte Arbeiter, grosse Familien, Grenzgänger und Saisonniers, fristeten ihr Leben bei äusserst belastenden Arbeitsverhältnissen dem Existenzminimum entlang, ungeschützt vor dem Absturz in die Armut durch Krankheit oder Unfall.

[23] Dem Zuwachs an politischer Partizipation der niedergelassenen Bevölkerung entsprach keine Verbesserung der materiellen Lage beim Gros der Arbeiterschaft. Schroff standen sich in den Arbeitskämpfen des frühen 20. Jahrhunderts ein vorwiegend liberal-konservatives Unternehmertum und eine gewerkschaftlich radikalisierte Arbeiterschaft gegenüber, während die Blockbildung auf politischer Ebene noch wenig gefestigt erschien. Die Parteien waren stark von jeweiligen Führungspersonen geprägt und lavierten innerhalb des Proporzsystems zwischen ihren linken und rechten Flügeln. Dem Regierungsrat eignete dank seiner gemischten Zusammensetzung eine vermittelnde Position innerhalb einer nach Besitzenden und Besitzlosen stark polarisierten Klassengesellschaft. Dies sind die städtisch-sozialen Dispositionen, die im Ersten Weltkrieg auf den Prüfstand gestellt wurden und wiederholt zu Zerreissproben führten.

Auszug aus dem Buch
'Krieg und Krise' von Robert Labhardt
Christoph Merian Verlag, Basel, 2014

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