Die Krise im Basler A. C. V. nach dem Streik


Von Friedrich Heeb.

Der Streik im Allgemeinen Consumverein beider Basel ist nach einwöchiger Dauer am 29. Oktober durch den Spruch eines zuvor von beiden Parteien anerkannten Schiedsgerichts beendet worden. Seine Auswirkungen nach den verschiedensten Seiten werden aber noch lange zu spüren sein, zumal ja eine leider von unserer Basler Partei unterstützte kommunistische Initiative auf Abberufung des Genossenschaftsrates dafür gesorgt hat, daß die Gemüter nicht so schnell zur Ruhe kommen.

Zu den Fragen, die der Basler A. C. V.-Konflikt aufgeworfen hat, sollte meines Erachtens die schweizerische Gesamtpartei Stellung nehmen, da es sich um Dinge handelt, die von unserem sozialistischen Standpunkt aus ernsteste Beachtung verdienen, und alle Anzeichen dafür sprechen, daß der Konflikt nach der Wendung, die er mit der kommunistischen Abberufungsinitiative genommen hat, sich nicht lokalisieren lassen, sondern in Bälde zu Weiterungen auf dem ganzen Gebiete des Verbandes Schweizerischer Konsumvereine führen wird.

Mitte November habe ich von einer bekannten ausländischen Genossenschafterin, die auch als Sozialistin großes Ansehen genießt und mit der ich vor einigen Jahren über genossenschaftliche Fragen einen Gedankenaustausch pflegte, ein Briefchen folgenden ebenso kurzen als lapidaren Inhalts erhalten:

«Ich verfolge die schwere Krise der schweizerischen Genossenschaftsbewegung mit dem größten Interesse. Ich habe es immer kommen sehen. Wenn man wirklich politisch neutral sein will, dann darf man nicht politische Wahlkurien schaffen, das muß zur Katastrophe führen.»

Diese Genossin steht an der Spitze der Genossenschaftsbewegung eines Landes, in dem zwar nicht wie in Belgien die Genossenschaften Bestandteile der sozialistischen Parteibewegung sind, wo sich aber doch die Konsumgenossenschaften sehr eng an die sozialistische Partei- und Gewerkschaftsbewegung anlehnen, die Führung aller zentralen und lokalen Genossenschaftsorganisationen sich ausnahmslos in den Händen von Sozialdemokraten befindet. Die erwähnte Genossin steht keineswegs auf dem Standpunkt der unbedingten und absoluten politischen Neutralität, den der Verband Schweizerischer Konsumvereine und die ihm angehörenden lokalen Konsumgenossenschaften einnehmen. Sie hat aber das Problem, um das es sich im gegenwärtigen Basler Genossenschaftskonflikt handelt, zweifelsohne weit besser erfaßt als jene unserer Basler Parteigenossen, die sich für die offizielle Unterstützung der kommunistischen Abberufungsinitiative eingesetzt und diese kurzsichtige Haltung seither in Presse und Versammlungen mehr als einmal zu rechtfertigen versucht haben.

Gewiß stellt der Verband Schweizerischer Konsumvereine mit der von ihm seit Jahren verfochtenen Taktik der absoluten Passivität auch in allen wirtschaftspolitischen Fragen für uns Sozialisten kein Ideal dar. Für uns und unsere Partei wie wahrscheinlich auch für das schweizerische Genossenschaftswesen wäre es besser, wenn wir sagen könnten, die Struktur des V. S. K. entspreche etwa jener, die im Zentralverband deutscher Konsumvereine oder gar im Verband deutschösterreichischer Konsumvereine zu verzeichnen ist. Zwar steht auch der Zentralverband deutscher Konsumvereine auf dem Boden der politischen Neutralität, auf jener Plattform, die Adolf von Elm auf dem Kopenhagener internationalen Sozialistenkongreß 1910 also
umrissen hat:

«Abgesehen davon, daß die (deutsche) Gesetzgebung den Genossenschaften untersagt, Politik zu treiben, würde man vollständig ihre Natur verkennen, wenn man von ihnen verlangen wollte, für irgendeine Partei zu agitieren. Der Kauf von Speck oder Erbsen ist nicht mehr sozialistisch als konservativ. Die der Generalversammlung von der Leitung einer Genossenschaft vorgelegte Bilanz kann nicht durch das Programm einer politischen Partei beurteilt werden. Die Genossenschaften können Stellung gegen Gesetzesmaßregeln nehmen, die in ihre eigenen Interessen eingreifen oder einzugreifen drohen. Das hat sich häufig ereignet. Auf allen Kongressen haben sie die strikteste Neutralität gegen alle Parteien gewahrt. Sie werden auch in Zukunft diese Neutralität üben, nicht aus Furcht, die Gefühle einiger bürgerlicher Elemente» zu verletzen, sondern um eine Zersplitterung der Bewegung und den Verlust eines großen Teils ihres Einflusses auf die Produktionsmöglichkeit zu vermeiden. Wenn die sozialistische Partei das Recht für sich in Anspruch nehmen will, ihr gehörende Organisationen zu schaffen, so muß sie dieses Recht auch den andern Parteien zuerkennen. In England, in der Schweiz, in Deutschland ist die Zersplitterung der Genossenschaftsbewegung nach politischen oder religiösen Anschauungen bis jetzt glücklich vermieden. Aber in andern Ländern, wie in Frankreich, ist die Genossenschaftsberwegung sehr gespalten; aus diesem Grund entwickelt sich dort die Organisation des Großeinkaufs und der Produktion nur sehr mühsam.»

Seitdem Adolf von Elm als der Begründer der Hamburger «Produktion» diese Worte gesprochen hat, haben sich auch die beiden bis dahin getrennten französischen Genossenschaftsverbände: die von der Schule von Nimes unter der theoretischen Führung von Charles Gide gegründete «Union cooperative» und die «Bourses des societes cooperatives» zu einem Genossenschaftsverband vereinigt. Die «Union cooperative» wurde 1885 gegründet und stand stets auf dem Standpunkt der absoluten Neutralität. Die «Bourse des societes cooperatives» trat 1895 im Norden Frankreichs ins Leben und wurde nach der Anschauung formiert, die bei den nahen sozialistischen Genossenschaften in Belgien und namentlich beim «Vooruit» in Gent stets richtunggebend gewesen war. Zur Vereinigung der beiden französischen Genossenschaftsverbände kam es im Dezember 1912, wobei der Sozialist Fourniere, der die Aktionskraft und den Machtbereich der Genossenschaften erweitert wissen wollte, mit besonderem Elan für die Fusion eingetreten war.

Die politische Neutralität der schweizerischen Konsumgenossenschaften war in der Vergangenheit mehr als einmal hart umstritten. Ich erinnere zum Beispiel an die Broschüre von Dr. Hans Müller: «Die Klassenkampfbewegung und das Neutralitätsprinzip der Konsumgenossenschaftsbewegung», die 1907 erschien und auf die der damalige Redakteur der «Berner Tagwacht», Genosse J. Hüppy, in einer nachher als Broschüre veröffentlichten Artikelserie des erwähnten Blattes unter dem Titel «Der Klassenkampf und das Neutralitätsprinzip der Konsumgenossenschaften» reagierte. Allein an der politischen Neutralität wurde schließlich doch von keiner Seite ernstlich gerüttelt und ließ sich mit Erfolg auch nicht so leicht rütteln, weil diese politische Neutralität letzten Endes in der Struktur unseres kleinen Landes bedingt, durch Tradition und Geschichte zu einer Selbstverständlichkeit geworden war.

In der Schweiz sind die Konsumgenossenschaften zum größeren Teil keine bloßen Gründungen der klassenbewußten Arbeiterschaft. An den meisten Orten wurden sie von Leuten ins Leben gerufen, die der sozialistischen Arbeiterbewegung wenn nicht gerade feindlich oder ablehnend, so doch zumindest indifferent gegenüberstanden. Dazu kommt dann aber das andere, noch wichtigere Moment: in ihrer weiteren Entwicklung haben sich unsere Konsumgenossenschaften zumeist mindestens ebenso stark aus den Schichten der Angestellten, der Beamten und des Kleinbürgertums als aus der eigentlichen Industriearbeiterschaft rekrutiert. Das alles ist letzten Endes kein Zufall, sondern aus der Tatsache zu erklären, daß in unserem Lande die Klassengegensätze gesellschaftlich bis heute weit weniger schroff in Erscheinung treten als in anderen Ländern, die Klassenscheidung sich daher auch im Gebiete der genossenschaftlichen Tätigkeit nie so unverhüllt manifestiert hat wie etwa in Deutschland oder in Österreich. Daraus resultiert hinwiederum eine andere Erscheinung, die an sich gleichfalls nicht zu jener Scheidung der Geister beitrug, die wir in anderen Staaten auf dem Gebiete der Genossenschaftsbewegung beobachten können: die Tatsache, daß bei uns sowohl die kantonale als die eidgenössische Gesetzgebung den Genossenschaften viel mehr Freiheit und Spielraum eingeräumt hat als in den Ländern, die auch das Genossenschaftsrecht nur als eine Art Ausnahmegesetzgebung gegen die Sozialdemokraten ansahen.

Mit diesen objektiven, aus der Geschichte und Tradition entsprießenden Tatsachen haben wir Sozialdemokraten uns nun einmal abzufinden. Tun wir das, so werden wir der oben zitierten ausländischen Genossenschafterin zustimmen müssen, die in der Entwicklung des Konflikts im A. C. V. beider Basel die Gefahr einer Katastrophe sieht. Und nicht minder treffend ist ihre Bemerkung, daß diese Katastrophe letzten Endes durch die «politischen Wahlkurien» herbeigeführt werde, das heißt durch jene eigentlich bloß den schweizerischen Konsumgenossenschaften anhaftende Eigentümlichkeit eines Regierungs- und parlamentarischen Apparats, der sklavisch getreu dem nachgeahmt ist, was wir in Staat und Gemeinden haben.

Ich habe diesen ebenso schwerfälligen als überflüssigen Apparat auf Grund meiner praktischen Erfahrungen im Lebensmittelverein Zürich seit Jahren als einen Konstitutionsfehler betrachtet und dies auch in einem längeren Artikel in Nr. 11 des «Schweiz. Konsumvereins» vom 16. März 1929 auseinandergesetzt.

Schon dieser Artikel berief sich zum Beweis für meine These auf den Lohnkonflikt im Allgemeinen Consumverein beider Basel. Was ich damals im «Schweiz. Konsumverein» schrieb, möchte ich heute etwas gekürzt hier wiederholen, weil der Streik im A. C. V. nach meiner Überzeugung letzten Endes auf nichts anderes als auf diesen Konstitutionsfehler zurückzuführen ist:

«Unsere demokratischen Überlieferungen haben dazu geführt, daß man die Institutionen des Staates und der Gemeinde schablonenhaft genau auf die Genossenschaften übertragen hat, ja, die öffentlichen Organe in der Ausgestaltung der Formaldemokratie sogar noch zu übertrumpfen suchte.

So haben wir denn in allen größeren Konsumgenossenschaften neben der Geschäftsleitung oder der Verwaltungskommission, die manchmal auch noch schwerfällig organisiert ist, einen vielköpfigen Aufsichtsrat, einen monströsen Genossenschaftsrat und dazu noch das Referendum, die Urabstimmung.

Diese Überorganisation ist nicht nur ein verwaltungstechnisches Hindernis, stellt eine schwer bewegliche Überorganisation dar, die für die Erledigung der Geschäfte wenig taugt. Sie war und ist dazu eine Quelle
unerquicklicher und sinnloser Parteizänkereien, die vor dem Forum der breitesten Öffentlichkeit ausgefochten werden. Ist schon ein Aufsichtsrat von 17 bis drei Dutzend Köpfen ein Unding, so muß vollends ein Genossenschaftsparlament von 100 oder 134 Personen im Zeitalter der Rationalisierung als eine Absurdität sondergleichen erscheinen. Namentlich dann,
wenn diese beiden nebeneinander funktionierenden Parlamente streng nach Parteifraktionen aufgeteilt sind. Es ist dabei ganz unvermeidlich, daß in diesen Genossenschaftsparlamenten, die zu einem erheblichen Teil nach politischen Gesichtspunkten rekrutiert werden, jede Fraktion zunächst ihrem Parteiprestige und ihrem propagandistischen Bedürfnis nach außen zu genügen sucht.

Das hat sich neuestens in besonders drastischer Weise bei dem nun beendeten Tarifkonflikt im A. C. V. beider Basel gezeigt, der in seinem ersten, monatelang dauernden Stadium mit einer Gründlichkeit, wie sie etwa der französischen Deputiertenkammer eignet, in öffentlichen Sitzungen mit wohleinstudierten Reden und Gegenreden, mit Replik und Duplik, Anklagereden und Plädoyers ausgefochten wurde. Da die politische Tagespresse diese weltgeschichtlichen Auseinandersetzungen mit publizistischer Gewissenhaftigkeit bis in die feinsten Details einschließlich jeden Zwischenrufs registrierte, war dafür gesorgt, daß die Öffentlichkeit während der ganzen Kampagne in atemloser Spannung gehalten wurde. Die Verhandlungen über den Tarifkonflikt kamen dabei allerdings um keinen Schritt vorwärts...

Weder für die Gewerkschaft noch für die Genossenschaft, ja, nicht einmal für die politischen Parteien kann aus einer derart auf offenem Markt zum Austrag gelangenden Lohnbewegung etwas Positives resultieren.

Aus dem Verlauf dieser und ähnlicher «Aktionen» müßten alle überzeugten Genossenschafter und Gewerkschafter, alle, denen es um die Sache, nicht um Phrasen zu tun ist, die Lehre ziehen, daß ein Konstitutionsfehler, der zu solchen Ungereimtheiten führt, so rasch als möglich behoben wird. Im Lebensmittelverein Zürich ist das vor drei Jahren wenigstens zu einem Teil geschehen. Die Krise im Frühjahr 1926 brachte auch eine Statutenrevision, durch welche der bis dahin aus 17 Köpfen bestehende Aufsichtsrat gänzlich abgeschafft, der Genossenschaftsrat von 100 auf 60 Mitglieder reduziert und eine Verwaltungskommission von drei Mitgliedern bestimmt wurde. Die Sitzungen des Genossenschaftsrates wurden auf ein Minimum bemessen, ohne daß die statutarischen Rechte der Mitglieder und ihrer Vertretung dadurch irgendwie geschmälert worden wären, und da im Genossenschaftsrat keine langen Reden mehr gehalten werden, zeichnen seine Sitzungen sich durch musterhafte Kürze aus.

Nach meiner Ansicht hätte der L. V. Z. bei der Statutenrevision vor drei Jahren noch weiter gehen, den Genossenschaftsrat gänzlich beseitigen und an seine Stelle einen Mitgliederausschuß setzen sollen, der sich um die
einzelnen Ablagen herum zu gruppieren gehabt hätte. Dieser Mitgliederausschuß hat sich bei der Hamburger «Produktion», in Wien und anderwärts durchaus bewährt. Er löst in idealer Weise auf genossenschaftlichem Boden das Problem der funktionellen Demokratie. Ihm können nur Personen angehören, die der Genossenschaft allein um der Sache willen dienen wollen, seine Einführung wäre gleichbedeutend mit der Liquidierung der politischen Fraktionen im L. V. Z. gewesen.
Die Bürgerlichen, die damals noch in der Mehrheit waren, trauten der Geschichte aber nicht, sie befürchteten, ein solches System bringe sie um ihre Majorität und sie lehnten deshalb den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion gemeinsam mit den Kommunisten ab. Nachher ging die bürgerliche Mehrheit im L. V. Z. dennoch verloren.»

Der Streik der Fuhrleute im Allgemeinen Consumverein beider Basel brach am 23. Oktober 1929 aus. In einem Briefe, datiert vom 8. Oktober 1929, schrieb mir ein in den Behörden des Basler A. C. V. sitzender bürgerlicher Genossenschafter, mit dem ich damals beruflich einen Briefwechsel zu führen hatte, unter anderem wörtlich folgendes:

«... Dann können Sie den Bürgerlichen nicht verzeihen, daß sie keinen Tarifvertrag mit dem V. H. T. L. abschließen wollen. Der Grund hierzu ist einfach der, daß sie sich nicht geflissentlich Hemmnisse in den Weg legen lassen wollten für die bevorstehenden Sanierungen (in den verschiedenen Betrieben). Zwischen der Notwendigkeit der Sanierung bzw. der freien Hand in derselben einerseits und dem Begehren des V. H. T. L. anderseits haben sie für das erstere optiert. Inzwischen gilt das Dienstreglement. Unsere (der Bürgerlichen) Taktik im A. C. V. ist: Durchführung der Sanierung à tout prix. — Durchstieren, möchte ich sagen, handeln, während die andern mit Reden und Beschwörungen den Teufel glauben austreiben zu können.»

Daß man in einer Konsumgenossenschaft auf solche Weise nicht zum Ziele kommt, hätten die Bürgerlichen inzwischen aus dem Streik im A. C. V. lernen müssen. Für alle Beteiligten kann es auf dem Boden einer Genossenschaft, die auf die Unterstützung der Mitglieder als Käufer und Spareinleger angewiesen ist, nur die Methode des Verhandelns und des endlichen Kompromisses, niemals des Diktierens geben.

So sehr ich aber immer betont habe, daß die bürgerliche Mehrheit im Allgemeinen Consumverein beider Basel durch ihren Wahn, es in dem Lohnkonflikt zu einer politischen Machtprobe kommen lassen zu dürfen, den Streik ausgelöst hat, so möchte ich doch nicht verhehlen, daß die Schuld an der Zuspitzung der Dinge in Basel weniger an den heutigen Mehrheitsverhältnissen im Genossenschaftsrat und Aufsichtsrat des Basler A. C. V. als an der Konstitution der heute noch größten und mächtigsten schweizerischen Konsumgenossenschaft liegt.

Eben an der Tatsache, daß man für ein auf freiwilligem Zusammenschluß der Konsumenten und Käufer beruhendes wirtschaftliches Unternehmen, das mit der selbstherrlichen Privatwirtschaft konkurrieren muß, die gleiche Art der Bestellung von Exekutive und Legislative gewählt hat, wie sie in den so ganz andersgearteten, auf Zwang beruhenden staatlichen und kommunalen Körperschaften üblich ist.

In Basel mußte sich dieser Konstitutionsfehler um so schlimmer auswirken, als dort einmal die kommunistische Demagogie, das bloße Agitationsbedürfnis der Moskauer, auch vor der Zerstörung der größten schweizerischen gemeinwirtschaftlichen Institution keinen Augenblick halt macht und dieser kommunistischen Wahnsinnstaktik leider noch immer Tausende von Arbeitern blindlings folgen. Zum andern standen und stehen sich in den Behörden des Basler A. C. V. als Exponenten ihrer Parteien die gleichen Leute gegenüber, die einander auf dem Gebiet der kantonalen und eidgenössischen Politik seit Jahren nicht nur sachlich, sondern auch höchst persönlich mit größter Vehemenz bekämpfen. Das gilt für alle am A. C. V. wie in der übrigen Politik beteiligten Parteien.

Der Allgemeine Consumverein beider Basel, und in seinem Gefolge die gesamte schweizerische Genossenschaftsbewegung müssen aus diesem politischen Hahnenkampf notwendigerweise schwersten Schaden davontragen. Namentlich nachdem der Konflikt mit dem Ende des Streiks nicht nur nicht abgeschlossen ist, sondern nun erst mit aller Heftigkeit um die von den Kommunisten eingeleitete Initiative auf sofortige Abberufung des Genossenschaftsrates entbrennen, die Leidenschaften noch wochen- und monatelang aufrühren wird.

Unsere Basler Partei hätte meiner Meinung nach niemals zur Unterstützung der kommunistischen Abberufungsinitiative
anbieten dürfen. Parteipolitisch wird sie dabei auf keinen Fall gewinnen, sondern nur verlieren können, selbst wenn man nur so kurzfristig und kurzsichtig spekuliert, wie das bei jenen unserer Basler Genossen der Fall gewesen ist, die glaubten, dem rasenden See ein Opfer bringen zu müssen. Für denjenigen aber, der weiter denkt, kann es erst recht keinem Zweifel unterliegen, daß unsere Basler Partei mit der Unterstützung des kommunistischen Abberufungsrummels eine große geschichtliche Verantwortung auf sich lädt. Auf dem Gebiete der Gemeinwirtschaft haben wir bis heute überall und namentlich in der Schweiz nur recht spärliche Ansätze. Soll unsere Auffassung über die Stärkung und Ausdehnung dieser Gemeinwirtschaft sich durchsetzen, so bedarf es dazu, wie Genosse Bauer in Wien mehr als einmal dargetan hat, des praktischen Beweises, daß die gemeinwirtschaftlichen Betriebe nicht nur ebenso gut, sondern besser als die privatkapitalistischen Unternehmungen zu wirtschaften vermögen. Lebendige Beweise solcher Art für die Richtigkeit unserer theoretischen und programmatischen Auffassung hätten weit mehr werbende Kraft als die besten Reden und schönsten Broschüren über das Ziel der sozialistischen Bewegung.

Diese Beweiskraft unserer grundlegenden Ideen liegt bestimmt viel weniger in einem übrigens ganz unwahrscheinlichen Wahlerfolg der Basler Sozialdemokraten bei den nächsten Wahlen in den Genossenschaftsrat des A. C. V. als in einer Ausbreitung und Kräftigung dieser Konsumgenossenschaft, die bisher der Stolz der Genossenschafter in der ganzen Welt war und in der gemeinwirtschaftlichen Literatur seit Jahrzehnten eine große Rolle gespielt hat. Das darf auch der aussprechen, der wie ich sich von einer Überschätzung der konsumgenossenschaftlichen Bewegung durchaus frei weiß, sie nicht als das, sondern nur als ein Mittel zur ökonomischen Befreiung der Arbeiterklasse betrachtet. Die Verantwortung der Sozialdemokraten ist in diesem Fall um so größer, als sie selbst nicht bestreiten, daß der Kampf um die Durchsetzung der kommunistischen Abberufungsinitiative wie um die nach ihrer Annahme fälligen Neuwahlen eine schwere Belastungsprobe für den Allgemeinen Consumverein beider Basel darstellt. Das liegt nach den Anschuldigungen, die schon bisher sowohl aus dem Lager der Bürgerlichen wie der Sozialdemokraten und Kommunisten zu hören waren, wobei natürlich stets «die anderen» der ärgsten Verfehlungen geziehen werden, auf der Hand. Der A. C. V. muß also nach der schweren Erschütterung, die für ihn schon der Streik darstellte, im besten Falle mit einem weiteren Umsatzrückgang wie mit dem Rückzug von Spargeldern rechnen.

Unsere Basler Genossen können die auf ihnen lastende große Verantwortung auch nicht mit dem Einwand von sich wälzen, an der heutigen Zuspitzung seien die Bürgerlichen, und vor allem ihr Führer Dr. Oskar Schär, schuld. Selbst wenn dem so wäre oder vielmehr gerade dann sollten unsere Genossen sich sagen, daß die Hauptschützer und Hauptträger einer gemeinwirtschaftlichen Institution nach ihrem Programm und ihrer Weltanschauung sie selbst, die Sozialdemokraten, sein müssen. Unsere Basler Genossen werfen den Bürgerlichen stets vor, sie seien nach ihrer kapitalistischen Grundeinstellung überhaupt nicht berufen, einen gemeinwirtschaftlichen Betrieb zu leiten und vorwärts zu bringen. Dann aber müßten sich die Sozialdemokraten erst recht schützend vor den Allgemeinen Consumverein beider Basel stellen, sich mit dem Einsatz ihrer ganzen Macht und ohne Rücksicht auf die «Popularität» bei einer vorübergehenden politischen Wahlkampagne dafür verwenden, daß der Genossenschaft alle weitern Gefährdungen und Vertrauenskrisen erspart bleiben.

Dem A. C. V. beider Basel hätte mit einer Aktion unserseits zur Entgiftung der Atmosphäre ein ungleich größerer Dienst geleistet werden können als mit alledem, was ihm nun bevorsteht. Diese Entgiftung hätte in einer Entpolitisierung bestehen müssen, indem zunächst die drei exponiertesten Führer der drei Parteien: Sozialdemokraten, Freisinnige und Katholisch-Konservative sich aus den Behörden des A. C. V. zurückzogen. Nachher wäre durch eine Statutenrevision dafür zu sorgen gewesen, daß die Verwaltung und Beaufsichtigung der Genossenschaft nach dem Vorbilde der Hamburger «Produktion» oder der Wiener Konsumgenossenschaft neu geregelt, die dem Staate nachgebildete heutige Einteilung in Verwaltungskommission, Aufsichtsrat und Genossenschaftsrat beseitigt worden wäre. Wenn dieser ganze Apparat vielleicht auch nicht auf einmal zum Verschwinden zu bringen war, so hätte er doch wesentlich vereinfacht und reduziert werden können. Mit den Kommunisten läßt sich natürlich über solche Dinge nicht einmal diskutieren, geschweige denn, daß sie ihnen zugänglich wären. Ihr Ideal ist das politische Narrenhaus. Um so mehr hätten alle anderen, und namentlich die Sozialdemokraten, Grund gehabt, dafür zu sorgen, daß dem Krakehlbedürfnis der Moskauer nicht alles, sogar die bisher größte und blühendste schweizerische Konsumgenossenschaft, geopfert wird.

Quelle:

Die Krise im Basler A.C.V.
Autor(en): Heeb, Friedrich

Objekttyp: Article
Zeitschrift: Rote Revue : sozialistische Monatsschrift

Band (Jahr): 9 (1929-1930)
Heft 4

1929 Genossenschaft Gewerkschaft

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